
17 Sep. Prof. Zeichen im Interview: Das Verhältnis zwischen Standard- und Kurzschäften wird sich umkehren
Prof. Dr. Johannes Zeichen im Interview
„Das Verhältnis zwischen Standard- und Kurzschäften wird sich umkehren.“
Alte Patienten sind in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für die Endoprothetik, sei es das perioperative Management von Begleiterkrankungen, sei es die Nachverfolgung des Outcomes bei alten Patienten im Rahmen von Studien. Nun gibt es mit dem zementierten A2® Kurzschaft eine neue Option, die für ältere Patienten relevant sein könnte. Prof. Dr. Johannes Zeichen, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Johannes Wesling-Klinikums Minden, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Versorgung älterer Patienten. Er hat eine klare Vision, welche Rolle die Kurzschaftversorgung bei betagten Patienten künftig spielen könnte.
Der Blick auf die demographische Entwicklung prägt den Alltag von Orthopäden und Unfallchirurgen bereits seit Jahrzehnten. Vor knapp 20 Jahren hat dies zur Einführung eines orthogeriatrischen Co-Managements geführt: „Die Herausforderungen bei alten Patienten liegen weniger im endoprothetischen Eingriff selbst als in der perioperativen Versorgung der Begleiterkrankungen bzw. der Multimorbidität“, erläutert Prof. Zeichen. Der besonderen Vulnerabilität dieser Patienten begegnet man deshalb in Minden wie in vielen anderen deutschen Kliniken interdisziplinär – mit dem Konzept der geriatrischen Komplexbehandlung, um postoperativ die größtmögliche Patientenautonomie zu ermöglichen.
Individuelle Auslegung der EPRD-Empfehlung
Der endoprothetische Eingriff selbst läuft – u.a. dank der Registerdaten – weitgehend standardisiert ab. So empfiehlt das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) eine zementierte Versorgung ab dem 75. Lebensjahr. Das Alter als alleiniges Entscheidungskriterium ist für Prof. Zeichen und sein Team allerdings nicht ausreichend. Es gibt ältere Patienten, die körperlich noch sehr fit sind und bei denen im Röntgenbild keine Hinweise für eine Osteoporose vorliegen. „Bei diesen Patienten kann auch eine zementfreie Prothese implantiert werden“ so Prof. Zeichen.
Lange bedeutete die EPRD-Empfehlung automatisch eine Versorgung mit einem zementierten Geradschaft. Bis Ende 2020. Seitdem erweitert ein zementierter Kurzschaft das A2® Implantatsystem und eröffnet damit neue Versorgungsoptionen. „Das ist eine wichtige Ergänzung und Weiterentwicklung für das Patientenklientel der Älteren ab 70, dessen Anteil in unserer Klinik stetig zunimmt“, meint Prof. Zeichen.
Die Begrenzung etablierter Scores bei betagten Patienten
Um den Stellenwert des neuen Implantats zu bemessen, wurden in Minden von Januar 2021 bis Dezember 2022 die eigenen Fälle nachverfolgt: In dem Zeitraum wurden bei 117 Patienten (w:m = 84:33) zementierte A2® Kurzschäfte Typ B nach medialer Schenkelhalsfraktur (n=93) und Koxarthrose (n=24) implantiert. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 81 Jahre (55-91 Jahre). Rund ein Jahr postoperativ erfolgte das telefonische und/oder postalische Follow-up auf Basis des Forgotten Joint Score (FJS-12) und des Hip Disability and Osteoarthritis Outcome Score-Physical Function Short (HOOS-PS). Der HOOS-PS ist eine gekürzte Version mit 5 Fragen (Treppe abwärts gehen; Ein- und Aussteigen in die Badewanne; Sitzen; Gehen; Drehen auf dem operierten Bein).
Bis zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung gab es keine Luxationen, Infekte oder periprothetische Frakturen. Das Drop-out war erwartungsgemäß und dem Alter der Patienten entsprechend hoch: Es konnten lediglich die Fragebögen von 59 Patienten ausgewertet werden. Bis zur Kontaktaufnahme waren 20% der Patienten – ohne Zusammenhang mit dem operativen Eingriff – verstorben. 20 Patienten waren nicht erreichbar bzw. reagierten nicht, 14 Patienten hatten eine dementielle Erkrankung. „Wir sehen eine gewisse Begrenzung der etablierten Scores – wie zum Beispiel dem FJS – bei betagten Patienten, die ggf. zusätzlich an Demenz leiden. Hier sollten Scores angewendet werden, die das Patienten-Outcome sinnvoll abbilden und in einem telefonischen Follow-up anwendbar sind. Es empfiehlt sich auch, über kürzere Nachuntersuchungsintervalle nachzudenken“, schlägt Prof. Zeichen vor.
Bei den nachverfolgten Fällen in Minden ergab die Auswertung des HOOS-PS, dass 88% der Patienten keine oder geringe Probleme beim Sitzen hatten, 57% bei der Treppe abwärts gehen, 55% beim Drehen auf dem operierten Bein, 45% beim Ein- und Aussteigen aus dem Bad und 30% beim Gehen. Nach Auswertung des FJS Scores erreichten 57% der Patienten (n= 33) eine Prozentzahl zwischen 60-100%.
Gute Aussichten für die Kurzschaftversorgung
„Wir sehen in unseren Ergebnissen ein sehr gutes Implantat mit wenigen Komplikationen und der Wiederherstellung einer altersgemäßen Lebensqualität bei einer angemessenen Rate von Patienten, die innerhalb eines Jahres aufgrund der Begleiterkrankungen versterben“ so das Fazit von Prof. Zeichen. „Aus Sicht des Anwenders ist das neue Implantat im Vergleich zum Standardschaft einfach einzubringen und leichter zu erlernen. Neben dem geringeren Blutverlust und den geringeren Komplikationen sind das durchaus wichtige Sicherheitsaspekte auch für den Patienten.“ Vergleichende Studien und weitere klinische Ergebnisse stehen noch aus. Prof. Zeichen ist dennoch überzeugt: „Das Verhältnis in der Verwendung von Standard- und Kurzschäften wird sich in der Zukunft umkehren. Und ich bin sicher, dass wir ältere Patienten künftig mehr mit zementierten Kurzschäften versorgen werden als mit den derzeit noch etablierten Langschäften.“

Prof. Dr. Johannes Zeichen, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Johannes Wesling-Klinikums Minden