26 Feb Kurzschaftversorgung: Ein Konzept der Zukunft
Kurzschaftversorgung: Ein Konzept der Zukunft
EKB Kurzschaftseminar
Das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) vermeldet seit Jahren Steigerungsraten bei der Kurzschaftversorgung. Zuletzt lag der Anteil der Kurzschäfte bei 13,3%. Dennoch komme der Kurzschaft oft zu kurz, so das Eingangs-Statement von Prof. Dr. Stefan Budde, Bielefeld, und Dr. Sebastian Meller, Berlin. Die beiden wissenschaftlichen Leiter des EKB Kurzschaft-Seminars und die geladenen Experten einte deshalb das Ziel, das Thema Kurzschaft hersteller- und implantatübergreifend nach vorne zu bringen.
PD Dr. Marco Ezechieli, Salzkotten, erinnerte zu Beginn an die Bedeutung der anatomischen Rekonstruktion für jüngere Patienten. Das anteriore Offset sei in der Vergangenheit oft vernachlässigt worden. In einer CT-basierten Kadaverstudie konnte gezeigt werden, dass Schenkelhals-teilerhaltende Schäfte im Vergleich zu konventionellen Geradschäften das Drehzentrum besser rekonstruierten.[1] Hinzu kämen Vorteile für die Weichteil-Rekonstruktion und Muskelspannung bei Verwendung eines Kurzschaftes. Dr. Ezechieli plädierte für die stärkere Berücksichtigung von Kurzschäften im Versorgungskonzept jüngerer Patienten, um die Revisionsrate dieses Klientels in Zukunft zu senken.
PD Dr. Peter Savov, Oldenburg, stellte noch unveröffentlichte Ergebnisse einer Studie vor: Die Arbeitsgruppe hatte ca. 2.300 Hüft-Röntgenbildern analysiert. Das Ergebnis ist eine detaillierte Klassifikation, die – in Anlehnung an die CPAK-Klassifikation in der Knieendoprothetik – CPAH (Coronal Plane Alignment of the Hip) getauft wurde. Die CPAH-Klassifikation berücksichtigt dabei drei wesentliche Parameter: die metadiaphysäre Konfiguration auf Basis der Dorr-Klassifikation, die Berücksichtigung des CCD-Winkels, sowie die Definition des lateralen Offsets.
Zusätzlich wurde die Versorgung mit verschiedenen Schafttypen (Kurzschaft, anatomischer Schaft oder Geradschaft) stichprobenartig virtuell durchgeplant. Das Ziel: Die beste Rekonstruktion der Patientenanatomie. Ein Großteil der klassifizierten Kombinationen könne sehr gut mit einem Kurzschaft versorgt werden. Aber: Wo sind die Grenzen des Kurzschaftes? Dies herauszufinden sei die Aufgabe der nahen Zukunft, konstatierte PD Dr. Savov.
Dr. Sebastian Meller, Berlin, stellte erste Daten einer noch nicht publizierten prospektiven, monozentrischen randomisierten Studie vor. Ziel der Studie war es herauszufinden, ob die Rekonstruktion der Hüftgelenksanatomie durch Verwendung von Kurzschäften (A2® Kurzschaft) im Vergleich zu Geradschäften (SL-Plus MIA Schaft) genauer und minimalinvasiver rekonstruiert werden kann. Zu dem Zweck sah das Studiendesign die Erfassung von radiologischen (Rotations-MRT, Röntgen), klinischen und laborchemischen Parametern vor.
Die Ergebnisse für die 40 Patienten zeigten nach abgeschlossenem 6-Monats-Follow-up sehr gute klinische und radiologische Ergebnisse mit Kurzschaft und Geradschaft sowie eine sehr hohe Patientenzufriedenheit. Beim Vergleich zwischen Kurz- und Geradschaft lassen sich erste Trends erkennen: So führt die Implantation eines Kurzschaftes tendenziell zu geringeren glutealen Muskel- und Sehnenschäden. Radiologisch wurde ein vergrößertes globales Offset in der Kurzschaft-Gruppe beobachtet. Zudem konnte die Schaftantetorsion in der Kurzschaftgruppe im Vergleich zum Geradschaft besser rekonstruiert werden, und der Einfluss auf die Beinachse fiel ebenfalls natürlicher aus. In einem zweiten Schritt steht nun die weitere radiologische Auswertung und laborchemische Evaluation der untersuchten Kohorte an.
Prof. Dr. Karl-Philipp Kutzner, Mainz, berichtete über präklinische Untersuchungen für einen zementierten Kurzschaft. Ausgangspunkt sei die Erkenntnis gewesen, dass weniger das Alter, sondern die Knochenqualität eine Kontraindikation für die zementfreie Kurzschaftversorgung sei.[2],[3] Mit Blick auf die demographische Entwicklung brauche es jetzt gute Konzepte, konstatierte Prof. Kutzner. Dazu zähle der zementierte Kurzschaft. In mehreren experimentellen Kadaverstudien habe man sich deshalb mit der Primärstabilität eines zementierten Kurzschaftes einschließlich reversibler Mikrobewegungen und irreversibler Migration auseinandergesetzt. Zum einen lag der Schwerpunkt auf der Zementiertechnik, indem die unterdimensionierte Standard- mit der Line-to-Line-Zementiertechnik verglichen wurde. Beide Techniken zeigten vergleichbare Ergebnisse, so dass die für den Kurzschaft vorteilhaftere Line-to-Line-Zementierung weiterverfolgt werden könne.[4],[5] Zum anderen wurde das Schaftdesign selbst betrachtet und ein zementierter Kurz- mit einem zementierten Geradschaft verglichen. Hier konnten keine signifikanten Unterschiede bei Mikrobewegungen, Migration und Bruchlast festgestellt werden.[6] Prof. Kutzner zeigte sich überzeugt, dass ein zementierter Kurzschaft eine wichtige Ergänzung im Versorgungsspektrum sei und die Kurzschaftversorgung insgesamt zum künftigen Standard werden könne.
Dr. Ahmed Yaseen, Innsbruck, stellte in Vertretung des kurzfristig verhinderten Dr. Bertram Regenbrecht, Lilienthal, erste Ergebnisse einer multizentrischen Anwenderbeobachtungsstudie zum zementierten A2® Kurzschaft vor. Das durchschnittliche Alter der Patienten (n= 121; 90 w, 31 m) lag bei 77,8 ± 4,7 Jahren. Für das Schaftdesign ergaben sich durchweg unauffällige und gute Resultate. So zeigten die klinischen Scores (HHS und FJS) sehr ermutigende Ergebnisse. Der durchschnittliche FJS beim 1-Jahres-Follow-up war vergleichbar mit den Ergebnissen von Nicht-Implantat-Trägern. Herausforderungen brachte erwartungsgemäß das Patientenklientel mit sich: Durch das hohe Alter der Patienten war eine erhöhte Drop-out-Rate beim Follow-up zu beobachten. Komplikationen und Auffälligkeiten ergaben sich ebenfalls durch das Alter und die Begleiterkrankungen der Studienkohorte. Zudem ist eine Revision dokumentiert, die nach einer ungenügenden Zementierung und einer daraus resultierenden frühpostoperativen Sinterung des Kurzschaftes vorgenommen wurde. Die Überlebensrate des zementierten A2® Kurzschafts betrug 99,17% nach einem Jahr.
Prof. Dr. Arnd Steinbrück, Augsburg, referierte über die EPRD-Registerdaten des Kurzschafts. Grundsätzlich zeigten die Kurzschäfte gute Ergebnisse, allerdings habe das noch junge Register noch keine Langzeitergebnisse vorzuweisen. Und auch für ältere Patienten gebe es noch keine ausreichenden Daten. Neben der Patientenselektion habe die Erfahrung der Operateure Einfluss auf die Ergebnisse. In zwei Dritteln der Kliniken, die an das EPRD berichten, kommen lediglich 5% der Kurzschäfte zum Einsatz, während 50 Kliniken in Deutschland über 50% der Kurzschäfte implantieren. Wichtig sei, so Prof. Steinbrück, dass Trainings eingesetzt würden, um die Lernkurve zu minimieren und dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse so gut blieben.
Das Vorurteil, die Revisionsbilanz des Kurzschaftes sei nur deshalb so gut, weil er vorrangig bei jungen und gesunden Patienten und von Experten implantiert werde, habe man wissenschaftlich überprüft. Bereinigt man die Registerdaten statistisch um Einflussfaktoren wie z.B. Patientenalter, -geschlecht schneide der Kurzschaft tendenziell besser als der Normalschaft ab, was jedoch statistisch nicht signifiant sei.[7] Interessant sei jedoch die Infektionsrate, die bei den Kurzschäften 3 Jahre nach dem Eingriff signifikant geringer sei als bei den Standardschäften. Die Hypothese: Das geringere Weichteiltrauma könnte für diesen Effekt verantwortlich sein.
Prof. Dr. Stefan Budde, Bielefeld, zeichnete abschließend die Historie des Kurzschaftes nach. Seit den Anfängen mit der Mayo-Prothese Mitte der 1980er Jahre seien viele Kurzschaftimplantate mit unterschiedlichen Philosophien auf den Markt gekommen und wieder verschwunden. Für die „Kurzschaft-Idealisten“ böten die kalkargeführten Kurzschäfte heute eine Lösung sowohl für die proximale Krafteinleitung als auch für die Primärstabilität. Mit Blick auf die zusätzlichen Vorteile, die in den Referaten zusammengetragen wurden, könnte der Kurzschaft ein „Game Changer“ werden, so Prof. Budde. Der Kurzschaft habe das Potenzial, der neue Standard zu werden.
[1] Ezechieli, M. et al. (2022). Archives of Orthopaedic and Trauma Surgery. 142. 1-12. DOI: 10.1007/s00402-021-03957-2.
[2] Kutzner KP. Arch Orthop Trauma Surg. 2023 Feb;143(2):1049-1059. DOI: 10.1007/s00402-022-04354-z.
[3] Gkagkalis G et al. BMC Geriatr. 2019 Apr 17;19(1):112. DOI: 10.1186/s12877-019-1123-1.
[4] Kutzner KP et al. Clin Biomech. 2018 Feb;52:86-94. DOI: 10.1016/j.clinbiomech.2018.01.004.
[5] Azari F et al. J Orthop Res. 2021 Aug;39(8):1681-1690. DOI: 10.1002/jor.24887.
[6] Freitag T et al. Arch Orthop Trauma Surg. 2021 Oct;141(10):1797-1806. DOI: 10.1007/s00402-021-03843-x.
[7] Steinbrück, A et al. Orthopäde 50, 296–305 (2021). https://doi.org/10.1007/s00132-021-04083-y